Die Grenzen der plangetriebenen Vorgehensweise
Als Business Analyst stand ich vor einer wichtigen Entscheidung: Sollten wir für unser Produktentwicklungsprojekt eine agile oder plangetriebene Vorgehensweise wählen? Diese Frage, die auf den ersten Blick einfach erscheint, stellte sich als eine der entscheidendsten strategischen Entscheidungen heraus, die ich treffen musste.
Die plangetriebene Vorgehensweise verspricht Kontrolle und sorgfältige Planung, stösst jedoch oft auf eine unvorhersehbare Realität. Trotz ihres Namens kann diese Methode nicht immer die Unwägbarkeiten und Unsicherheiten eines Entwicklungsprojekts vorhersehen. Schnell wird klar, dass eine umfassende Planung und starre Phasen nicht jede Variable, jeden Bedarf und jede technologische Innovation antizipieren können.
In „The Principles of Product Development Flow“ wird die Bedeutung von Warteschlangen und dem Management von Arbeitsabläufen betont. Es wird gezeigt, dass die Effizienz eines Projekts nicht in der anfänglichen Planung liegt, sondern in der Fähigkeit, sich anzupassen und unvorhergesehene Ereignisse dynamisch zu bewältigen.
Die Wahl der plangetriebenen oder adaptiven Vorgehensweise laut BABOK
Der BABOK (Business Analysis Body of Knowledge) betont die Bedeutung der adaptiven Vorgehensweise im Projektmanagement. Im Allgemeinen spricht man hier von Agilität, die sich durch Flexibilität und die Fähigkeit auszeichnet, effektiv auf Veränderungen und Unvorhergesehenes zu reagieren.
Agilität beschränkt sich nicht auf Scrum
Obwohl Scrum mit seinem sehr effizienten Rahmenwerk weit verbreitet ist und eine beliebte Anwendung agiler Prinzipien darstellt, ist es nicht die einzige Umsetzung der agilen Werte und Prinzipien. Agilität ist ein ganzheitlicher Ansatz, der eine Vielzahl von Praktiken und Rahmenwerken umfasst, die die Zusammenarbeit, Flexibilität und die Fähigkeit zur schnellen Reaktion auf Veränderungen verbessern sollen.
Die in „The Principles of Product Development Flow“ genannten Prinzipien bieten eine eigene Perspektive auf Agilität, die über spezifische Rahmenwerke wie Scrum hinausgeht. Mehrere Schlüsselkonzepte, die tief mit den Grundlagen der Agilität übereinstimmen, werden hervorgehoben.
Zunächst wird die Bedeutung der Reduzierung der Losgrössen betont. Durch die Verringerung der Losgrössen können die Variabilität und die Risiken, die mit grossen Projekten verbunden sind, reduziert werden. Dies macht den Entwicklungsprozess vorhersehbarer und besser handhabbar, während schnelle Anpassungen auf Grundlage häufiger Rückmeldungen erleichtert werden.
Dann wird die Notwendigkeit eines schnellen Feedbacks betont. In einer Produktentwicklungsumgebung ermöglicht schnelles Feedback das frühzeitige Erkennen und Korrigieren von Fehlern, wodurch Kosten gesenkt und die Reaktionsfähigkeit verbessert werden. Dieses Prinzip steht im Mittelpunkt aller agilen Methoden und äussert sich in kurzen Iterationen und regelmässigen Überprüfungen, die auf Benutzerfeedback basieren.
Schliesslich wird die Bedeutung von Flexibilität und Anpassungsfähigkeit angesprochen. Anstatt sich an eine starre Planung zu klammern, müssen die Teams bereit sein, ihren Ansatz anhand neuer Informationen und sich ändernder Kontexte anzupassen. Diese Fähigkeit, schnell zu schwenken und sich anzupassen, ist unerlässlich, um in einer dynamischen und unsicheren Umgebung erfolgreich zu sein.
Die wirtschaftlichen Prinzipien und ihre Rolle bei der Wahl der Vorgehensweise
Bei der Wahl zwischen einer agilen und einer plangetriebenen Vorgehensweise spielen wirtschaftliche Prinzipien eine wesentliche Rolle. Es ist entscheidend, die wirtschaftlichen Auswirkungen von Projektmanagemententscheidungen zu verstehen, um die finanziellen und operativen Ergebnisse zu optimieren.
Auf Portfolioebene konzentriert sich die wirtschaftliche Überlegung auf die Auswahl der zu startenden Projekte anhand ihres Ertragspotenzials und ihrer strategischen Ausrichtung. Planbasierte Ansätze mit ihrer sorgfältigen Planung und zentralisierten Verwaltung können für klar definierte Projekte mit stabilen Anforderungen geeignet erscheinen. Projekte, die jedoch grosse Flexibilität und eine hohe Anpassungsfähigkeit erfordern, profitieren mehr von einem agilen Ansatz. Die Reduzierung der Losgrössen und das schnelle Feedback, die der Agilität eigen sind, ermöglichen eine effektivere Reaktion auf Marktveränderungen und neue Informationen, was den Mehrwert des Projektportfolios maximiert.
Für bereits laufende Projekte ist das Management von Warteschlangen und Arbeitsabläufen entscheidend, um Kosten zu minimieren und die Effizienz zu verbessern. Bei einer plangetriebenen Vorgehensweise können lange Warteschlangen zu Engpässen führen, die die Verzögerungen und Kosten erhöhen. Ein agiler Ansatz, der die Losgrössen reduziert, ermöglicht hingegen ein dynamischeres Management der Abläufe, wodurch Warteschlangen reduziert und die Fluidität des Projekts verbessert werden.
Die Bewertung der wirtschaftlichen Auswirkungen von Verzögerungen
Die wirtschaftlichen Auswirkungen von Verzögerungen zu quantifizieren, ist grundlegend: In einem plangetriebenen Projekt können Verzögerungen erhebliche zusätzliche Kosten verursachen, die oft schlecht vorhergesehen werden. Durch eine gründliche wirtschaftliche Analyse können diese Verzögerungskosten[1] besser bewertet und verwaltet werden. Der agile Ansatz mit seinen kurzen Iterationen und dem schnellen Feedback bietet eine bessere Fähigkeit, Projektverläufe anzupassen und so das Risiko kostspieliger Verzögerungen zu verringern.
Die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Teams
Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Teams sind ebenfalls entscheidende wirtschaftliche Faktoren. Eine starre Verwaltung, die typisch für plangetriebene Ansätze ist, kann die Fähigkeit einschränken, auf unvorhergesehene Änderungen zu reagieren, was Ineffizienzen und erhöhte Kosten zur Folge hat. Durch die Übernahme eines flexibleren Ansatzes, der von agilen Prinzipien inspiriert ist, können sich die Teams besser an neue Informationen und Marktveränderungen anpassen, was die wirtschaftliche Leistung des Projekts optimiert.
Zentralisierte versus dezentralisierte Kontrolle
Die zentralisierte gegenüber der dezentralisierten Kontrolle beeinflusst stark die Kosten und die Reaktionsfähigkeit. Planbasierte Ansätze bevorzugen eine zentralisierte Kontrolle, die die Entscheidungsfindung verlangsamen kann. Agile Ansätze bevorzugen hingegen eine dezentralisierte Kontrolle, die eine schnelle und realitätsnahe Entscheidungsfindung ermöglicht und oft die wirtschaftliche Leistung des Projekts verbessert.
Letztendlich habe ich für dieses spezielle Projekt die plangetriebene Vorgehensweise empfohlen. Warum eine Methode wählen, die oft wegen ihrer mangelnden Flexibilität kritisiert wird? Unsere Unternehmenskultur spielt dabei eine entscheidende Rolle. Unsere Organisation legt grossen Wert auf Planung, Qualität durch Prozesse und rigorose Ausführung. Der Wechsel zu einem agilen Modus wäre, als würde man versuchen, einen gut eingespielten Chor in eine Improvisationstheatergruppe zu verwandeln: spannend, aber nicht unbedingt effektiv.
Zudem war das Projektthema relativ gut verstanden, mit klaren und stabilen Anforderungen. Es gab keine grossen Unbekannten oder schwankende Bedürfnisse, die die Agilität und Anpassungsfähigkeit des agilen Ansatzes erfordert hätten. Mit anderen Worten, unsere Situation verlangte nicht nach extremer Anpassungsfähigkeit, sondern eher nach einer kontrollierten Ausführung.
Das Projekt verlief gut, trotz einiger unvorhergesehener Ereignisse. Diese wurden durch unsere Fähigkeit, die Prozesse anzupassen, ohne die Qualität zu beeinträchtigen, kompensiert. Obwohl das Projekt nicht exakt nach dem ursprünglichen Plan verlief, konnten wir das Produkt wie vorgesehen liefern, die Erwartungen der Stakeholder erfüllen und die gesetzten Ziele erreichen. Schliesslich ist ein fester Plan, den man anpassen kann, besser als ein agiles Chaos… zumindest war es so für uns.
[1] Die Kosten von Verzögerungen (Cost of Delay – COD) repräsentieren die finanziellen Verluste durch Verzögerungen bei der Lieferung eines Projekts oder einer Funktion. Sie umfassen entgangene Einnahmen, verpasste Gelegenheiten und zusätzliche Kosten, die durch die Verzögerung entstehen. Reinertsen, D. G. (2009). The Principles of Product Development Flow: Second Generation Lean Product Development